„Space + Face = Place
Wie Orte entstehen“
„Placemaking“ – ein Begriff aus der Stadtentwicklung. Die Kunst, gute öffentliche Orte zu erschaffen. Aber: Kann man einen Platz wirklich „machen“? Vor allem einen Lieblingsplatz?
Was braucht es für einen „guten Ort“? Wodurch kann sich eine Beziehung zu einem Ort entwickeln? Warum suchen wir manche Orte gerne auf und meiden andere? Durch welche Elemente und Konzepte kann das Haus des Wissens der neue Place to be in Bochum werden?
57 % der Weltbevölkerung leben heute in Städten, im Jahr 2030 wird der Anteil bei 60 % liegen.1 80 % der Deutschen leben heute schon in städtischen Ballungsgebieten. Die Stadt bietet Schutz und Freiheit für Entwicklungen zugleich. Menschen finden sich in lockeren Communitys zusammen, wenn sie Orte mit demselben Ziel aufsuchen, dort dieselben Erfahrungen machen können oder ein ähnliches Nutzungsspektrum vorfinden. Die Gemeinschaft fördert ein subjektives Sicherheitsempfinden.
Jedoch haben die Städte in den letzten 10 bis 20 Jahren viel von ihrer Individualität und Identität verloren. Vereinheitlichte Verkehrsführungskonzepte und durch Filialisierung und hohe Mieten verdrängte inhabergeführte Geschäfte ließen die Innenstädte sich immer mehr ähneln, gleich anhören und gleich riechen. Der individuelle Reiz ging verloren, weil emotionale Anknüpfungspunkte fehlten.
Britische Forschungsergebnisse zeigen, dass die Bereiche des Gehirns, die unsere Emotionen verarbeiten, deutlich stärker auf von Orten ausgelöste Reize reagierten als auf die von materiellen Dingen.2 Das anhaltende menschliche Bedürfnis nach diesen Orten ist so stark wie eh und je. Orte, die uns beruhigen oder uns Raum zum Nachdenken geben. Orte, zu denen wir eine tiefe Anziehungskraft verspüren oder die bei unserem Besuch eine körperliche Wirkung auf uns haben. Orte, an denen wir uns „zu Hause“ fühlen oder die uns das Gefühl geben, vollständig zu sein. Orte, die uns inspirieren.
Der Dichter W. H. Auden prägte 1948 das Wort „Topophilia“, um zu beschreiben, wie Menschen ein starkes Ortsgefühl empfinden; oft vermischt mit ihrem Identitätsgefühl und einem zugrunde liegenden Zugehörigkeitsgefühl.
Städte, Orte, Plätze, Häuser, Räume – wie gerecht werden sie heute den Wünschen der Menschen, ihren Vorstellungen und Bedürfnissen? Im Bewussten und Unterbewussten, individuell und in der Gemeinschaft. Vieles bedarf einer Überprüfung.
Aber auch die Räume zwischen den „Orten“ sind dabei im Gesamtbild nicht minder wichtig. Sie bilden eine Bühne für die Gebäude, Inhalte und Erlebnisse, sie halten das Gefüge zusammen, bieten Verweilqualitäten, spontane Treffpunkte und optische Anker. Hier ein Pocket-Park, da eine große Treppe, eine Baulücke, ein Platz, ein Dachgarten, eine Industriebrache oder ein nigelnagelneues „Urban Green“.
Direkt vor dem Haus des Wissens: Der U-Bahnhof Rathaus-Süd wurde 2006 mit dem Renault Traffic Award für kommunale Architektur ausgezeichnet. Neben der ungewöhnlichen Faltwerkdecke, den Lichtschächten und den verglasten und beleuchteten Wänden ist hier vor allem eine unterirdische Brücke von Bedeutung, auf der eine weitere U-Bahn verkehrt.
Im Norden der Innenstadt, im Kortländer-Kiez zwischen Herner Straße und Dorstener Straße, siedeln sich immer mehr Szenecafés und -bars an.
„Topophilia“,
griechisch:
topos = Ort,
philia = Liebe zu
Auch wird es immer wichtiger, dass die Erfüllungsorte der täglichen Bedürfnisse nah beieinander liegen. Die Vision der sogenannten „15-Minuten-Stadt“ beinhaltet ein Mobilitätskonzept, in dem man entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad oder ÖPNV quasi alle Wege des Alltags zu täglichen Besorgungen, Bildungseinrichtungen, medizinischer Grundversorgung, Arbeitsplatz oder Sporteinrichtungen innerhalb von maximal 15 Minuten bestreiten kann. Paris plant bereits nach diesem Konzept eine komplett autofreie Innenstadt, um hier den Verkehrslärm und die Luftverschmutzung deutlich zu reduzieren und die Lebensqualität zu steigern. Bochum projektiert momentan eine Verlagerung des Autoverkehrs um 15 % bis 2030.
Dritte Orte? „Zwischen“-Räume? In der Stadtentwicklung wird das eigene Zuhause als erster Ort bezeichnet, der Arbeitsplatz als zweiter. Der Begriff „Third Places“, also dritte Orte, wurde 1989 von dem amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg geprägt und bezeichnet Orte, an denen man außerhalb von Wohnung und Arbeit gerne Zeit verbringt und sich geborgen fühlt. Dies können öffentliche oder halböffentliche Räume
wie Cafés, Hotels, Lobbys, Museen, Wartehallen, Plätze, Co-Working-Spaces, Lounges oder Parks sein. Oasen im Großstadtdschungel (siehe Seite 9 über Rooftop-Paradise). Orte der Vernetzung, der Erholung, der Begegnung, des Erlebens, des Austausches, des Rückzugs, Serviceorte und Orte des „einfachen Seins“. Durch den Aufenthalt dort und das Treffen mit anderen Menschen macht man sie sich zu einem dritten vertrauten Ort.
Quartiere sind der Schlüssel für eine gelingende Stadtentwicklung. Durch die Gestaltung der Quartiere wird der Grundstein für Nachbarschaft, Identifikation, Integration und gesellschaftliche Teilhabe gelegt. Denn nicht nur die Innenstadt entwickelt sich weiter – rundherum entstehen lebendige Stadtteilzentren.
Im Süden ist es das Künstlerviertel Ehrenfeld rund um das Schauspielhaus, wo sich viele inhabergeführte Läden mit Wohnaccessoires, kleine Boutiquen, Werkstätten, Restaurants und Bars niedergelassen haben, die fernab von Franchise-Systemen individuell und einzigartig sind. Vieles hat hier Retro-Charme und ist gleichzeitig ganz weit vorne mit einem kulinarischen Angebot aus regionalen und saisonalen Zutaten und handwerklicher Zubereitung auf hohem Niveau.
Ebenso im Norden, wo rund um den „Kortländer“, eigentlich früher nur eine Straßenkreuzung, momentan ein alternatives Ausgehviertel entsteht. Hier geht es multikulturell, inklusiv, bunt und jung zu. Auch jenseits von Straßenfesten findet das Leben draußen statt, oft auf improvisiertem Mobiliar am Straßenrand. Dazu wurde ein Verkehrsflächen-Umnutzungsprogramm entwickelt.
Man trifft sich in der Trinkhalle mit über 100 Sorten Craftbier, der OA Weinbar, der Eisdiele Kugelpudel und den Cafés Eden, STÜH33 und Hi Kalle. Dazwischen gibt es ein international renommiertes Tonstudio, ein mittlerweile über 60 Jahre altes Spielwarengeschäft, Landschaftsarchitekten, italienische Feinkost und türkische Backwaren. Ein gemeinsames Wohn- und Arbeitszimmer entwickelt sich in der „KoFabrik“.
Über 20.000 Bürger engagierten sich mit Spenden für den Bau des Musikforums, bei dessen Errichtung 2016 die Marienkirche als Eingangsforum erhalten blieb.
Wissen und Kultur als Standortfaktoren im 21. Jahrhundert
Bochum war schon immer etwas besonderer. Einer der größten deutschen Hochschulstandorte mit 60.000 Studierenden und 10.000 in der Forschung und Lehre Beschäftigten. Die Bochumer Hochschullandschaft ist zentraler Ausgangspunkt für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der Stadt. Die Schwerpunkte der Industrien in Bochum haben sich im Laufe der Zeit immer wieder stark verändert, vom Bergbau über die Stahlindustrie hin zur Automobil- und Telefonproduktion, später zur Gesundheitstechnik, Datensicherheit und Forschung. Im Zuge des Wandels von der Industrie- zur Informationsgesellschaft wird hier die Ressource Wissen ein immer wichtigerer ökonomischer Entwicklungsmotor. Daher geht es heute darum, immer wieder neue und bessere Strukturen und Rahmenbedingungen zur Erlangung und Weitergabe von Wissen zu schaffen.
„Kultur, Bildung
und Wissen wurden
hier schon immer
wertgeschätzt.“
Das „schönste Theater der Welt“ (nicht nur laut Intendant Johan Simons), das auch Premieren in Wattenscheider Fußballvereinsheimen feiert, mit einem Vorplatz, auf dem man sich abends erst mal trifft, um dann weiter in die Kneipenviertel zu ziehen.
Hotspot der Livekultur
Mit dem größten kostenlosen Musikfestival Europas, den ungewöhnlichsten
Spielstätten für Hochkultur, einem Kneipenviertel mit jährlich vier Millionen Besucherinnen und Besuchern, in dem man trotzdem immer jemanden trifft, den man kennt, ist Kultur ein weiterer wichtiger Faktor in Bochum. Sie spielt sich dabei hauptsächlich direkt in der Innenstadt ab. Nicht zuletzt im überregional renommierten Schauspielhaus Bochum und im 2016 um die Marienkirche errichteten Anneliese Brost Musikforum Ruhr.
Unsere Innenstadt wird immer weiter aufgewertet, damit wir gerne gemeinsam Zeit hier verbringen und Bochum als
attraktiver Wissens- und Wirtschaftsstandort im Westen Deutschlands wahrgenommen wird. Informationen zu weiteren Projekten finden Sie unter smart-forward.de
Fotos:
KoFabrik
Jann Höfer
Sebastian Becker
Jon Tyson
Für ein Naturerlebnis muss man die Stadt heute nicht mehr verlassen, denn durch kleine Parks, Urban Gardening und Dachgärten erhält das „Draußen“ eine neue Qualität und fügt sich nahtlos in die Stadtstruktur ein. Ganze Straßenzüge werden damit aufgewertet und die Lebensqualität wird ortsnah erhöht.
Eisenfabrik wird Freizeitort
Mit der KoFabrik am Imbuschplatz entstand auf 2.000 qm in einer ehemaligen Eisenhütte ein neuer gemeinwohlorientierter Ort für die Entwicklung des gesamten Kortländer Viertels. Unternehmerische Nutzerinnen und Nutzer der neu ausgebauten Büros leisten hier zusätzliche „Viertelstunden“ im Umfeld, das dadurch im Jahr über 500 Stunden Zeit, Kompetenz und Identifikation erfährt.
Der Autoverkehr wurde verbannt, es entstand eine öffentliche Terrasse mit „shared spaces“. Hier darf jeder in die Verantwortung gehen und ein eigenes Beet anlegen. Hier begegnen sich die Nachbarschaft, Projektemacherinnen und -macher und Unternehmen. Man tauscht sich aus, nutzt die Co-Working-Spaces, genießt Zimtschnecken, spielt Bingo, bestellt gemeinsam Lebensmittel bei den Bauern im Umland und gestaltet so gleichzeitig den eigenen Lebensraum und das gute Miteinander.
Die Zwischenräume in der Stadt werden nicht mehr nur zur Überbrückung von Distanzen wahrgenommen, sondern als Erholungsinseln zum Durchatmen, eingewoben in das urbane Leben.
Der Imbuschplatz vor der Quartiershalle KoFabrik dient als saisonales Wohnzimmer, Aktionsbühne, Arbeitsplatz und Gemüsegarten für das Viertel.
Das STÜH33 – Café und Co-Working-Space und alles was Du brauchst, um zu entspannen, zu arbeiten und Du zu sein!
Rooftop-Paradise
Begrünte Dächer und Industrieanlagen sorgen für ein deutlich besseres Stadtklima, nicht nur durch ihren Kühlungseffekt im Sommer. Zusätzlich binden sie Kohlendioxid, Staub und Schadstoffe und bieten Lebensraum für Kleintiere, Insekten und Pflanzen.
Neben der Errichtung eines großen Dachgartens auf dem Haus des Wissens als städtischem Begegnungsort fördert die Stadt Bochum bis Ende 2022 private Dachbegrünungsmaßnahmen mit 50 % der Gesamtherstellungskosten.
Ein Beispiel aus New York: Der High-Line-Park im Westen von Manhattan auf einer ehemaligen Güterzugtrasse führt mitten durch die Stadt.