Wenn der Lehrer 
eine KI ist

Beim Thema digital unterstützes Lernen gehen die Meinungen auseinander: Überwiegen hier die Vorteile oder wird uns das Denken komplett abgenommen? Dr. Peter Salden beschäftigt sich mit dem Einsatz von KI in unterschiedlichen Bildungskontexten.

Foto: © Julia Philipp

Klar scheint: Die Möglichkeiten, sich beim Lernen auf Computerprogramme und Apps zu stützen, nehmen eher zu als ab. Aber was hilft wirklich, und wie sollte das Lernen in Zeiten von KI & Co gestaltet werden?


Herr Salden, Sie beschäftigen sich für die Ruhr-Universität und auch für das Land Nordrhein-Westfalen mit erfolgreichem Lernen. Was hat Sie beim Thema digitales Lernen zuletzt überrascht? 
Ich finde spannend, dass die ersten Lehrenden ihr Äußeres digitalisieren und ihre Lehre dann als Avatare durchführen. Das funktioniert technisch erstaunlich gut.


Lehre als Avatar durchführen – was bedeutet das genau? 
Wenn man das eigene Bild und die eigene Stimme am Computer aufnimmt, kann man sozusagen einen digitalen Zwilling erzeugen, der sich auf dem Bildschirm bewegen und sprechen kann. Er sieht dem echten Menschen täuschend ähnlich. Das ist natürlich sehr praktisch für Lehrende, die sich nicht mehr selbst für ein Lernvideo aufnehmen wollen: Sie können ihrem Avatar einfach Texte zur Verfügung stellen, die er dann – ziemlich flüssig – vorträgt. Auch die Beantwortung von Fragen ist möglich. Andererseits fühlt es sich für diejenigen, die diesen „falschen“ Lehrer sehen, doch auch etwas komisch an.

„Sie können ihrem Avatar einfach
Texte zur Verfügung stellen, die er dann vorträgt.“

Das klingt, als wären digitale und nicht-digitale Welt beim Lernen bald kaum noch zu trennen. Wie weit wird dieseVerbindung in Zukunft gehen? 
Manche hoffen, dass bald alle Lernenden persönliche Assistenzsysteme haben, die den Lernstand ihrer Bezugsperson erkennen und ihr helfen können. Da kann man an Sprachassistenzsysteme wie Siri oder Alexa denken, die dann auch als persönliche Lernhilfe dienen: Wenn ich etwas nicht verstanden habe, frage ich einfach nach und bekomme eine Erklärung, die genau auf mich eingeht. Da kommt natürlich auch das Thema Künstliche Intelligenz ins Spiel.


Wo sehen Sie die größten Vorteile von KI, wenn es ums Lernen geht? 
Wenn durch KI individuelle Lernhilfen möglich werden, ist das in meinen Augen ein Gewinn. Das funktioniert bisher aber eher im Kleinen, zum Beispiel bei Vokabelprogrammen. Vorteile sehe ich aber schon jetzt bei der Barrierefreiheit. Es gibt zum Beispiel inzwischen KI-basierte Computerprogramme, die ziemlich gut Videos untertiteln. Das ist für Menschen, die nicht hören oder nicht gut Deutsch sprechen, eine große Hilfe – natürlich auch bei Lernvideos.

Und was sind die Probleme bei KI? 
Da gibt es, wenn man ehrlich ist, schon eine ganze Menge. Zum Beispiel: Noch immer sind Antworten der heute gängigen KI-Anwendungen häufig sachlich nicht richtig, selbst wenn sie sehr souverän formuliert sind. Vielen Leuten ist auch nicht bewusst, dass ein Sprachmodell nicht objektiv ist, sondern immer im Lichte einer bestimmten Weltanschauung programmiert wurde. Wenn man das nicht weiß, läuft man Gefahr, unbewusst fremde Meinungen zu übernehmen. Ein Problem ist aber auch der ökologische Fußabdruck, da KI unglaubliche Mengen Energie verbraucht, die wir oft noch mithilfe von Kohle, Gas oder Atomkraft herstellen. KI ist also keine saubere Technologie, sondern im Gegenteil eine ziemliche Umweltsünde.


Was entgegnen Sie Menschen, die skeptisch auf die Entwicklungen schauen und Ängste formulieren, dass uns durch die Digitalisierung des Lernens mehr verloren geht, als wir gewinnen? 
Ich würde sagen: Ihre Ängste sind nicht unbegründet, denn man kann mit digitalen Tools und Lernszenarien auch einiges falsch machen. Lassen Sie sich aber auch nicht verrückt machen, denn es gibt definitiv Chancen. Probieren Sie selbst mal ein digitales Lernangebot aus und beobachten Sie dabei, ob und unter welchen Voraussetzungen es Ihnen hilft. Denken Sie über Pros und Contras nach. Und falls Sie zu dem Thema recherchieren, fragen Sie nicht in einem Elternchat und auch nicht ChatGPT. (Lacht.)


Ist digitales Lernen eigentlich auch eine Chance für mehr
Bildungsgerechtigkeit? 
Einerseits ja: Wenn ich zum Beispiel eine Rechtschreibschwäche habe oder nicht gut Deutsch kann, können Programme zur automatischen Textkorrektur oder zum Sprachenlernen eine große Hilfe sein. Kinder aus akademischen Haushalten hatten schon immer ihr „ElternGPT“; jetzt helfen den anderen dafür Tools wie ChatGPT. Andererseits zeigt die Geschichte des digitalen Lernens, dass von neuen Möglichkeiten oft besonders diejenigen profitieren, die sowieso schon gute Noten haben. Die wissen dann zum Beispiel, wie man selbst einen Text schreibt, und können ihn zusätzlich mit ChatGPT perfektionieren. Andere schreiben ohnehin schon schlecht und übergeben eine Aufgabe jetzt vollständig an ChatGPT, sodass sie ohne Technik sogar noch schlechter schreiben.

Was können wir denn tun, damit die Bildungsschere durch Technik nicht noch weiter auseinander geht? 
Da kommt natürlich zuerst die ganz grundlegende Bildung – also lesen, schreiben und strukturiert arbeiten können. Aber darauf aufbauend spielt Medienkompetenz eine große Rolle. Wir müssen also sowohl mit den Lehrenden als auch mit den Lernenden daran arbeiten, dass Vor- und Nachteile digitaler Lernwerkzeuge allen bewusst sind. Das Beispiel KI zeigt das nochmal sehr deutlich: Es ist wichtig, dass alle Beteiligten verstehen, wie KI funktioniert und was die Probleme sind. Erst dann kann man sie so nutzen, dass sie hilft. Medien- und KI-Kompetenz müssen deswegen unbedingt durch Lehre aufgebaut werden – und dann können auch diejenigen profitieren, die etwas schwächer sind.

„Positiv wäre, wenn zukünftig
alle Lehrenden und Lernenden digitale Lernwerkzeuge mit
einem guten Bewusstsein für
deren Vor- und Nachteile einsetzen.“

Manchmal klingt es derzeit so, als würde der Trend wieder zu weniger digitalem Lernen gehen. So möchten manche Bundesländer Tablets und Smartphones in Schulen verbieten. Ist das der richtige Weg? 
Beim Einsatz digitaler Geräte in Schulen und Hochschulen läuft sicher nicht immer alles gut. Das gilt zum Beispiel, wenn in einer Klasse Kinder auf ihrem Tablet spielen oder ihre Aufgaben nur noch von KI-Tools lösen lassen. Tatsächlich ist aus der Forschung gut bekannt, dass digitale Geräte vom Lernen ablenken können – übrigens schon dann, wenn sie sichtbar auf dem Tisch liegen. Entsprechend ist es sinnvoll, sie manchmal auszuschließen, und das passiert häufig noch nicht konsequent genug. Andererseits sind digitale Geräte oft beim Lernen und Recherchieren auch hilfreich, und nicht zuletzt ist ja auch ein Lernziel, dass man den Umgang mit digitalen Geräten gut beherrscht. Pauschal verbieten sollte man digitale Geräte also nicht, sondern ganz klar vorgeben, wann sie erlaubt oder nicht erlaubt sind – und das dann auch durchsetzen.

Was sagt die Forschung denn allgemein zu dem Thema: Lernen wir besser online oder offline? 
Tendenziell ist es am besten, wenn man beides klug miteinander verbindet. Aber eigentlich würde ich sagen, dass die Frage „digital oder nicht-digital“ aus der Perspektive von Forschung zum Lernerfolg gar nicht so wichtig ist. Denn andere Faktoren haben viel mehr Einfluss darauf, ob ich mit dem Lernen weiterkomme oder nicht.


Welche Faktoren sind das? 
Einen starken Effekt haben zum Beispiel Rückmeldungen, durch die ich meine Leistung einschätzen und mich verbessern kann. Hilfreich ist auch, wenn ich beim Lernen selbst aktiv werden, also nachdenken und etwas tun muss. Wenn es klare Lernziele, aktive Phasen und hilfreiches Feedback gibt, ist es zweitrangig, ob das Lernen digital oder nicht-digital organisiert ist.


Bedeutet das, dass wir auf menschliche Lehrende ganz verzichten können? 
Nein, das nicht. Es stimmt zwar, dass man viele Probleme erstmal mithilfe eines digitalen Tools erarbeiten kann. Aber spätestens, wenn wir über einen längeren Zeitraum lernen sollen, ist der Austausch mit anderen Menschen deutlich motivierender als das Feedback eines Computerprogramms. Und davon abgesehen lernen wir ja nicht für eine rein technische Welt, sondern für eine menschliche. Da muss die persönliche Auseinandersetzung mit anderen Menschen dazugehören.


Was bedeutet das für die Räume, in denen gelernt wird –
also Schulen, Hochschulen oder auch Orte wie das Bochumer Haus des Wissens? 
Vor allem: gutes WLAN und Steckdosen nicht vergessen. (Lacht.) Und dann: Räume schaffen, die zum Austausch mit anderen und zum gemeinsamen Arbeiten einladen, gerne auch so, dass man sich Dinge auf einem Bildschirm zusammen anschauen kann. Aber auch Rückzugsmöglichkeiten schaffen für diejenigen, die sich Ruhe wünschen. Und nicht zuletzt auch solche Räume, in denen man Technik ausprobieren kann, die nicht jeder schon zu Hause hat – also zum Beispiel Flächen, in denen man in virtuelle Realität eintauchen kann, gerne auch als Gruppe.


Alles in allem: Was ist in Ihren Augen eine positive
Zukunftsvision vom digitalen Lernen? 
Positiv wäre, wenn zukünftig alle Lehrenden und Lernenden digitale Lernwerkzeuge mit einem guten Bewusstsein für deren Vor- und Nachteile einsetzen. Die Programme sollten uns Menschen idealerweise individuell unterstützen, wenn wir etwas nicht verstehen oder etwas vertiefen möchten. Angeleitet werden sollte das Lernen von Menschen, die uns inspirieren und motivieren – nicht zuletzt dazu, ein technisches Gerät auch einfach mal auszuschalten.

Ein Ort
mit Strahlkraft.