Von den Besten lernen

Ralf Meyer von der Wirtschaftsentwicklung Bochum, Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke und Lebensmittelexperte Herwig Niggemann haben sich auf die Suche nach Erfolgskonzepten von Märkten und Markthallen in ganz Europa gemacht, um sich von den schlüssigsten Ideen und den am besten funktionierenden Konzepten für die Markthalle im Haus des Wissens inspirieren zu lassen. Dr. Markus Bradtke: „Ich glaube, ich habe alle Markthallen westlich von Bagdad gesehen.“ STADTGOLD spricht mit ihnen und dem Kopenhagener Projektentwickler Niels Lønborg Brandt-Badaire über Impulse für Bochum.

Mit welchem Ziel haben Sie gemeinsam internationale
Markthallen besucht?

Ralf Meyer: Wir beide kennen Markthallen ja nur als Touristen von unseren privaten Reisen. Aber das, was man als Tourist vielleicht toll findet, die Atmosphäre, die Gerüche, die fremden Speisen, bedeutet ja nicht, dass diese Markthalle wirtschaftlich funktioniert und für alle Bevölkerungsschichten ein Anlaufpunkt ist. Deshalb haben wir uns zusammen mit dem Lebensmittelexperten Herwig Niggemann (siehe Expertengespräch auf Seite 28) auf die Suche nach Hintergrundinformationen zu diesen Aspekten gemacht. Wir wollten auch mit den Händlerinnen und Händlern, der Konzeptentwicklung und der Betreibergesellschaft sowie den ganz normalen alltäglichen Besucherinnen und Besuchern sprechen.

„Wir wollten sowohl
aus den Fehlern als auch
den Erfolgsfaktoren
der anderen lernen.“

Welche Märkte und Markthallen haben Sie besucht?

Dr. Markus Bradtke: Wir waren beispielsweise in Hannover, Kassel und Freiburg, in Barcelona, Stockholm und Kopenhagen. In der letztgenannten Stadt haben wir dann Niels Brandt als Konzeptentwickler der „Torvehallerne“ kennengelernt.

Welche Fragen haben Sie dabei gestellt?

RM: Welches Nutzungskonzept steckt dahinter? Wie ist das Verhältnis der Lebensmittelangebote zur Gastronomie? Welche Anbieter und welches Sortiment gibt es? Gibt es einen Freisitz draußen? Ist es sauber? Wird alles gut gemanagt? Was macht die Atmosphäre aus? Gibt es Angebote für alle?

Alle diese Dinge sind ja keine Zufallsprodukte, selbst wenn eine Markthalle schon über 100 Jahre existiert. Viele schöne Markthallen sind leider kurz vor der Schließung, weil wichtige Aspekte nicht bedacht wurden oder sie nicht zukunftsfähig sind. Wir wollten sowohl aus den Fehlern als auch den Erfolgsfaktoren der anderen lernen.

Was hat Sie in den „Torvehallerne“ in Kopenhagen besonders beeindruckt?

MB: Zunächst einmal die Architektur. Die beiden Markthallen kommen so gut wie ohne Beschriftungen aus, man kann beim näher kommen sofort erkennen, um welche Art Gebäude es sich handelt. Innen ist jeder Stand von der Grundstruktur her gleich, das ergibt ein sehr einheitliches Bild und niemand sticht durch auffällige Beschilderungen oder Werbemaßnahmen hervor. Das wirkt sehr hochwertig, hier ist weniger mehr, typisch skandinavisch.

RM: Dann die strikte Auswahl der einzelnen Sortimente. Ein Fischhandel verkauft wirklich nur Fisch und keine weiteren Produkte oder „Accessoires“. Dazu gibt es frische, direkt am Stand verzehrbare Gerichte, die ausschließlich mit Produkten des Standes hergestellt wurden.

Um bei den Fischen zu bleiben: Konkurrierende Fischhändlerinnen und -händler sind bewusst direkt gegenüber platziert, damit der Wettbewerb dafür sorgt, dass jede und jeder immer sein Bestes gibt.

MB: Ganz neu war für uns auch die innovative Entsorgungslogistik von Nass- und Trockenmüll, das sind alles Dinge, die die Besucher nicht sehen, aber im Hintergrund muss vieles bedacht und mitgeplant werden.

RM: Wichtig ist auch, dass sich um die Bedürfnisse der Händlerinnen und Händler gekümmert wird, sie müssen sich genauso wohlfühlen wie die Besucher. In den Torvehallerne gibt es einen separaten Raum nur für die Handeltreibenden, wo sie sich aufwärmen, Pause machen und Computer für die Nachbestellung ihrer Waren nutzen können.

Warum sind die Torvehallerne ein Vorbild für Bochum?

RM: Es gab so viele tolle Ideen, die wir in den anderen Markthallen einfach so nicht wahrgenommen haben. Darf sich Bochum mit einer Weltstadt wie Kopenhagen vergleichen?
Ich finde, man sollte immer von den Besten lernen. Das war der Grund, warum wir gesagt haben, Kopenhagen bringt uns konzeptionell am meisten. Wir hatten hier Niels Brandt als Lehrmeister, der gerne erzählt hat, wie er es geplant hat, und eben nicht nur die Erfolge hervorgehoben hat, sondern auch eingeräumt hat, was er heute anders machen würde und was vielleicht nicht so gut gelaufen ist. Wir müssen für uns einen ganz individuellen Weg gehen, aber wir müssen einen sehr professionellen individuellen Weg gehen.

Wie sehen Sie, Herr Brandt, das Konzept der integrierten Markthalle in Bochum?

Niels Lønborg Brandt-Badaire: Ich kannte Bochum vorher nicht, aber als ich von der Idee des Haus des Wissens erfahren habe, war ich sofort begeistert. Ich wurde dann auch in das Expertengremium des Architekturwettbewerbs berufen, um zu prüfen, welcher Entwurf für den Umbau des Haus des Wissens am besten eine Markthalle integriert.

Meiner Meinung nach hat so ein Projekt in Deutschland viel größere Chancen als in Dänemark, weil es in Deutschland traditionell tausende Wochenmärkte gibt, während man in Dänemark weniger auf Märkten und in kleinen Geschäften einkauft als in Discountern.

Was könnte die Markthalle in Bochum attraktiv für alle Bevölkerungsschichten machen?

MB: Das Haus des Wissens und damit auch die Markthalle sind für alle Menschen da, die sich in der Innenstadt aufhalten. Wir möchten keinen Bilderbuchillusionen folgen, sondern die Realität Bochums abbilden. Durch den Zusammenschluss mit Bibliothek und Volkshochschule wollen wir ganz bewusst so
viele verschiedene Menschen wie möglich anziehen.

In der Markthalle sollen sich alle Besucher des Gebäudes treffen und es soll für alle Angebote geben.

RM: Für die Zukunft unserer Stadt ist es von großer Bedeutung, dass alle Bürgerinnen und Bürger miteinander reden und dass es Orte gibt, an denen man ganz selbstverständlich miteinander zu tun hat: Der eine möchte Gemüse kaufen, der andere will ein Glas Wein trinken, und der Dritte trinkt einen Kaffee einer Kaffeerösterei, und der Nächste kauft den wirklich tollen Fisch und der Übernächste isst ein gebratenes Fischfilet.

Ich sehe die größtmögliche Entwicklungschance für eine Markthalle nicht als isolierten Standort, sondern integriert in das Gebäude mit den Bildungseinrichtungen. Wenn alle Bochumerinnen, Bochumer und Gäste der Stadt ihre Bedürfnisse in dieser Markthalle sehen, dass sie dort ankommen und sich wohlfühlen können, dann haben wir etwas geschafft, was Bibliothek, Volkshochschule oder Markthalle alleine nicht hätten leisten können. 

Wie kann man sich die Markthalle vorstellen?

MB: Wir planen das Haus des Wissens nur zu 80 % „fertig“. Das bedeutet nicht, dass Mauerwerk oder Technik nicht fertig werden, sondern wir möchten die Nutzungsmöglichkeiten bis zum Schluss offenhalten. 

Uns geht es dabei um die Haltung, offen für Entwicklungen in den nächsten Jahren zu sein. Wir ordnen den Räumen keine festen Nutzungen zu, wir beschaffen modulare Möbel, wir digitalisieren erst ab 2025. Diese maximale Flexibilität garantiert uns, nicht in fünf Jahren schon wieder „out“ zu sein, daher können wir heute noch kein exaktes Bild der Aufteilung innerhalb des Hauses und der Markthalle skizzieren.

Herr Brandt, wie war das in Kopenhagen?
Hat dort alles von Anfang an gepasst?

NB: Nein, es musste auch noch viel korrigiert werden. Menschen und Funktionen ändern sich im Laufe der Zeit. Anpassungen müssen immer möglich sein. Natürlich wird die Technik im Hintergrund jetzt bereits vorbereitet: Dinge wie Abläufe, Wasser, Strom und Logistik. Der Zeitpunkt der Eröffnung ist dann eine Momentaufnahme. Ab da sammelt man weitere Erfahrungen. Ein Beispiel dafür aus Kopenhagen  dafür ist, dass wir anfangs ein Raumverhältnis von 45 % Handeltreibenden zu 55 % Besuchern hatten. Dadurch wirkten die Gänge dann aber viel zu breit und die Waren waren zu weit weg von den Kundinnen und Kunden. Wir haben dann einfach jedem Stand kostenlos rundherum 65 Zentimeter mehr Fläche zur Warenpräsentation zugeschrieben. Sie haben jetzt mehr Platz, aber zahlen dieselbe Miete, dafür ist die Atmos-phäre viel mehr „Markt“ geworden.

Wird es in Bochum auch Gastronomie in der Markthalle geben?

MB: Wir haben nichts dagegen, wenn eine Kaffeerösterei auch Kaffee ausschenkt und ein Weinhändler Verkostungen offeriert. Die Markthalle soll primär Einkaufsmöglichkeiten bieten. Angebote zum Direktverzehr soll es vorzugsweise nur mit den Produkten des Standes geben. Gerne kann man sich auch mit ein paar Äpfeln oben auf die Dachterrasse setzen. Zusätzlich wird es ja auch noch eine separate Gastronomie im Erdgeschoss geben.

Welche gemeinsamen Angebote mit Bibliothek oder Volkshochschule sind vorstellbar?

RM: Sämtliche Nutzungen in diesem Gebäude lassen sich auf jeder Etage realisieren, mal mit mehr, mal mit weniger großen Zugeständnissen. Ich könnte mir Kenntnisse über regionale Produktion als Vorlesung vorstellen. Oder Kochen und Verkostungen in der Markthalle, aber umgekehrt auch in einem  Hörsaal oder Schulungsraum. Das ist perspektivisch alles noch offen.

Wir haben alle Ideen und Impulse mitgenommen und gehen damit nun unseren ganz eigenen „Bochumer Weg“. Die Bochumerinnen und Bochumer sowie alle Besucher unserer Stadt dürfen sich auf einen spannenden – und in dieser Kombination auf der Welt einzigartigen – Ort freuen. 

Foto: © Herwig Niggemann

Wie die Markthalle in das Haus des Wissens kam

Eine Markthalle in einer Bibliothek? Auf dem Weg zur Volkshochschule schnell etwas einkaufen? Frische Lebensmittel mit Blick über Bochum im grünen Dachgarten genießen? Wie es zu dieser – zunächst verrückt erscheinen den – Idee kam, Bildungsinstitutionen und Markthalle in einem Gebäude zu vereinen, erläutern Ralf Meyer von der Wirtschaftsentwicklung Bochum und Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke.

Wie kam es ursprünglich dazu, Bibliothek und Volkshochschule in ein neues Gebäude zu verlegen?

Dr. Markus Bradtke: Zuerst stellte sich die Frage, ob das jetzige, marode Bildungs- und Verwaltungszentrum, in dem aktuell noch Stadtbibliothek und Volkshochschule untergebracht sind, sanierungsfähig ist. Untersuchungen von unabhängigen Sachverständigen haben klar belegt, dass man diese Immobilie nicht mit einem vertretbaren Aufwand sanieren kann. Daraufhin entstand die Idee, die beiden Institutionen gemeinsam in ein anderes Gebäude noch zentraler in die Innenstadt zu bringen.

Warum wurde die alte Hauptpost als neuer Ort ausgewählt?

MB: Die Idee des Oberbürgermeisters für ein „Haus des Wissens“ mit bildungsbezogener Nutzung mitten in der Innenstadt existiert schon länger. Vor fünf Jahren wurde dann der lange leerstehende ehemalige „Telekom-Block“ erworben.

Wie kam die Markthalle als weiterer inhaltlicher Aspekt dieses Ensembles dazu?

MB: Wir hatten bereits 2017 eine Konferenz mit Bürgerinnen und Bürgern etabliert, zu der repräsentativ für 371.000 Bochumerinnen und Bochumer 371 Personen eingeladen wurden. Diese erste Konferenz hatte das Thema „Stadtentwicklung“ als Schwerpunkt. Dort sind von den Bürgerinnen und Bürgern konkrete Projekte für die Entwicklung der Stadt vorgeschlagen worden. Eine Markthalle mitten in der City war derjenige Vorschlag, der mit einer überwältigenden Mehrheit von den Teilnehmenden benannt wurde.

Ralf Meyer und ich schlugen dann dem Stadtrat vor, die von den Bürgerinnen und Bürgern gewünschte Markthalle mit in das neue Gebäude für Bibliothek und VHS zu integrieren. Was zunächst wie eine verrückte Idee erschien, nahm mehr und mehr Gestalt an und wir konnten viele weitere Mitstreiter davon überzeugen.

Ralf Meyer: Das wirklich Innovative an dieser Idee ist, dass die Markthalle kein „Anhängsel“ des Gebäudekomplexes ist, sondern integraler Bestandteil. Ich glaube, ohne die Idee mit der Markthalle wäre das Haus des Wissens so gar nicht entstanden, weil die Markthalle das wirklich Besondere an diesem Mix ist.

Wie beurteilen Sie die zentrale Lage des Haus des Wissens mit der Markthalle zwischen Rathaus und Husemannplatz?

MB: Der Husemannplatz war für uns immer schon das Gelenkstück zur Achse Kortumstraße, Huestraße und Boulevard. Nach dem Abriss des Landgerichtes ergab sich gegenüber dem
Husemannplatz eine freie Vakanz, um die Innenstadt zu erweitern. Hier ist nun das Husemann-Karree entstanden mit einer sehr gemischten Nutzung aus Einzelhandel, Büros, Stadtverwaltung und Hotel. 

Mit dem Haus des Wissens rechts neben dem Karree werden sich in Zukunft ganz neue Laufwege in der City ergeben, die dann natürlich auch die Markthalle berühren. Deshalb haben wir uns für einen zweiten Haupteingang in das Gebäude in der Sichtachse des Platzes entschieden, die frühere Hauptpost konnte man ja nur von der Rathausseite aus begehen.

RM: Es gab auch die Idee, die Markthalle direkt auf dem Husemannplatz zu bauen. Diese haben wir wieder verworfen, weil der Husemannplatz einer der wenigen freien multifunktional und konsumfrei nutzbaren Plätze in der Stadt ist. Hier entsteht eine grüne Aufenthaltsoase für alle Altersgruppen. Es wird mit der „Blue Cloud“ und der „Green Cloud“ auch digitale Verbindungsmöglichkeiten mit dem Haus des Wissens geben, beispielsweise durch Projektionen. Der Platz ist in die Planung des Hauses mit integriert.

Meiner Meinung nach machen die neuen Laufwege über den Husemann- oder Rathausplatz zum Haus mit der Markthalle die Stadt auch wieder spannend, es wird viel Neues zu entdecken geben und jeder wird ganz neue Lieblingsorte in der Stadt für sich finden können.

Ein Ort
mit Strahlkraft.