Gretel Weiß: Ich bin ganz typisch als älteste Bauerntochter auf einem Hof aufgewachsen, habe aber keinen praktischen Landwirt geheiratet. Statt dessen bin ich nach dem Studium als Fachjournalistin in die Foodservice-Branche eingestiegen. In den letzten 30 Jahren habe ich dabei unzählige Märkte und Markthallen besucht, die mich von der ersten Minute an fasziniert haben.
Zu den allerersten Eindrücken gehörte der Fischmarkt in Tokio im Jahr 1973. Das war einfach eine unglaubliche Sache, die ich immer noch vor Augen habe und die ich immer noch riechen kann. Ich habe Märkte in Barcelona, Wien, Kopenhagen, Rotterdam und Hongkong besucht, finde aber unseren Markt hier in Stuttgart auch ganz toll. Die historischen Markthallen, die heute zu den Reichtümern vieler Städte gehören, beziehen ihre Faszination aus der Herkunft, während die neu gebauten Markthallen die Aufgabe haben, uns einen Weg in die Zukunft zu weisen.
Herwig Niggemann: Der Supermarkt kauft laut Liste über die Handelspartner, der Markthändler kauft per Ansehen und Schmecken. Im Supermarkt darf man beispielsweise die Kirschen nicht probieren. Wenn sie nicht genügend Aroma haben, merkt man das erst zuhause. Beim Markthändler überzeugt mich das Probieren zusätzlich zu Vertrauen und Fachkenntnissen.
Außerdem haben die Händlerinnen und Händler häufig eine langjährige Beziehung zu ihren Kundinnen und Kunden und kennen deren Einkaufsgewohnheiten. Darauf beruht der Erfolg von Wochenmärkten, Markthallen, aber auch Hofläden. Sie sind interaktive Plätze.
GW: Die Händlerinnen und Händler sind immer Spezialisten in ihrem Sortiment, sie präsentieren ihre Waren mit ganz besonderem Fachwissen und viel mehr Emotionen als im Supermarkt. Auf dem Markt sieht man die Frische und Fülle, alle Sinne werden hier angesprochen.
HN: Die Zielgruppen sind durch den Verweilcharakter auf den Märkten zunehmend jünger, vor allem am Nachmittag und zum Wochenende hin.
GW: Vor allem Frauen schätzen die persönliche Komponente von Märkten, sie bilden den Großteil der Besucher. Und natürlich alle Menschen, die gerne selber kochen und auf Fertigprodukte verzichten möchten. In Großstädten kommen viele Touristen, die dann eher Speisen vor Ort konsumieren und kulinarische Souvenirs kaufen.
„Ein lebenswerter
Treffpunkt.“
HN: Das Funktionale muss mit dem Emotionalen zusammengehen. Märkte haben heute diese doppelte Funktion. Das macht insgesamt sowohl die Faszination als auch die Berechtigung aus. Menschen in der Stadt wollen Kommunikation und Austausch. Der informelle Charakter des „Man trifft sich“ ist das besondere Phänomen eines Marktes. Deshalb plädiere ich dafür, dass es auf Märkten auch immer Flächen zur Kontaktaufnahme gibt, wo man sich treffen, hinsetzen und unterhalten kann. Dabei sollte das gastronomische Angebot idealerweise direkt von den Markthändlerinnen und -händlern kommen. Wenn es ihnen gelingt, das Take-Away-Geschäft richtig in den Griff zu bekommen, können sie durch ihre Zubereitungskompetenz ihre Umsätze steigern.
GW: Die Sortimentsspezialisten, egal ob für Kartoffeln, Käse oder Salat, sollten bestenfalls in der Lage sein, zusätzlich zu ihrem Warenangebot auch sofort verzehrbare Speisen anzubieten. Wenn es dann tolle Kartoffelgerichte gibt, wird die Kompetenz des Anbietenden unterstrichen. Auf dem Viktualienmarkt in München kann man das sehr gut sehen. Richtig gut funktionierende Märkte nutzen jeden Vertriebskanal, die Händler liefern beispielsweise auch nach Hause. Sie müssen eine ähnliche Zukunftsausrichtung und Verlängerung der Wertschöpfungskette angehen wie stationäre Händler oder Gastronomen.
HN: Sie könnten zusätzlich frisch zubereitete Gerichte anbieten, die man sich zu Hause aufbereiten kann.
GW: Oder auf der Arbeit. In der Mittagspause kann das sogar deutlich günstiger sein, als sich gastronomisch zu versorgen. Das finde ich gerade für Innenstädte besonders relevant und wichtig.
HN: Der Wochenmarkt macht keine Sonderangebote wie der Lebensmittel-Einzelhandel. Daher wirkt es so, als ob er teurer wäre. In der Realität ist der Preisunterschied nicht bedeutsam. Oft ist der Markt sogar günstiger, da Markthändler anders einkaufen können. Sie kaufen reife Ware, die am selben oder nächsten Tag verkauft wird. Die bekommen sie oft günstiger als der Einzelhandel, der auf lange Haltbarkeit ausgerichtet und damit oft auch Ware verkauft, die noch gar nicht verzehrbereit ist.
GW: Manchmal kauft man auf einem Wochenmarkt einfach mehr als geplant ein, weil man neue Dinge ausprobieren möchte, Angebote wahrnimmt, plötzlich etwas entdeckt, was man nicht auf dem Zettel hatte, oder Dinge zum Probieren angeboten bekommen hat.
HN: Und das Lebensgefühl, die Atmosphäre und die Interaktion mit anderen Menschen bekommt man ja auch immer noch gratis mit dazu.
HN: Am liebsten Obst- und Gemüse, das besondere typische Brot, die Schinken- und Käsespezialitäten aus verschiedenen Provinzen Italiens und Spaniens und besondere Fleischqualitäten, die man sonst nirgendwo bekommt (z.B. das Secreto vom Iberico-Schwein, das hat kein Supermarkt). Vieles kaufen wir auch spontan, angeregt durch die Produkte der Händler.
GW: Natürlich auch Käse, vorneweg Ziegenfrischkäse aus der Region. Dann Oliven mit Stein, Hummus & Co beim griechischen Händler – und nicht zu vergessen einen Arm voller Blumen beim Gärtner.
GW: Viele dieser Besucher sind vielleicht nicht die klassischen Marktgänger. Hier kommt es auf einen guten Mix des Angebotes an. Bei einem Backwarenmarktstand kann man sich beispielsweise halb so teuer wie bei McDonald’s versorgen. Viele ausländische Markthändlerinnen und -händler haben Sortimente, die migrantische Besucherinnen und Besucher der Volkshochschul-Sprachkurse adressieren und häufig auch besonders günstig sind.
HN: Es sollte immer ausgewiesene Sonderangebote geben. Die Händler könnten erst einmal über die Preisgestaltung in einer Markthalle geschult werden. Hier können wir ihnen unsere Erfahrungen anbieten, um den Start in der Markthalle zu erleichtern.
GW: Ich finde es sehr schön, wenn sich die Markthändler zusammenschließen und gemeinsame Aktionen durchführen. Durch organisierte Marketingaktionen kann die Markthalle in der Innenstadt sichtbarer gemacht werden.
HN: Ich könnte mir vorstellen, dass die Händler Vorträge oder kleine Schulungen über ihre Sortimente und Zubereitungsarten halten werden. Ganz wichtig ist auch eine gute Erreichbarkeit. Sowohl mit dem Fahrrad oder Auto, subventioniertes Parken ganz In der Nähe, fußläufige Erreichbarkeit vom Arbeitsplatz und Vereinbarkeit mit sonstigen Aktivitäten, wie im Fall Bochum geplant mit Bibliothek und Volkshochschule.
GW: Auf dem Markt verlangt heute im Gegensatz zu früher kaum noch jemand eine Verpackung, die meisten Waren werden lose hinübergereicht. Das spart so viel Verpackungsmaterial, vor allem Plastik, im Gegensatz zum Supermarkteinkauf.
HN: Durch Bauern und Händler aus dem Großraum NRW werden die Transportwege möglichst kurz gehalten. Zudem unterstützt man Produzenten und Arbeitgeber aus der eigenen Heimat. Der Wochenmarkt punktet beim Thema Regionalität immer gegenüber dem Discounter.
HN: Das Thema „Treffen“ sollte im Vordergrund stehen. Ein Ort, wo man ohne Verabredung bekannte oder neue Leute treffen und sich austauschen kann. Im Gegensatz zum Wochenmarkt kann man wetterunabhängig immer dort hingehen.
GW: Dass sie ein Platz wird, der Leben ausstrahlt, die Leute anzieht, persönliche Interaktion fördert und die Sinne berührt. Unkompliziert. Ein lebenswerter Treffpunkt.