Ein Profi- und ein Hobbykoch über die Zukunftsaussichten für Gastronomie, Märkte und das deutsche Essen
Andrew John Hotz (42)
Ausbildung zum Koch im
Münchener Hotel Vier Jahreszeiten
Tätigkeit auf der MS Europa
Tätigkeit als Koch in Neuseeland
seit 2009 selbstständig arbeitender Privatkoch
Rezeptentwicklung, FoodDesign und
Beratung für vegane / vegetarische Küche
@andrewjohnhotz
#wer_seid_ihr
Andrew John Hotz (42) ist gelernter Koch. In München arbeitete er im Hotel Vier Jahreszeiten. Heute ist er selbstständiger Privat- und Eventkoch und Foodfotograf.
Maurice Reinhard (29) ist leidenschaftlicher Hobbykoch, er belegte bei der „Küchenschlacht“ im ZDF den dritten Platz und hilft dann und wann schon mal bei Björn Freitag aus. Zusammen mit einem Freund betreibt er einen Restauranttest Account auf Instagram.
In diesem Küchengespräch tauschen sich die beiden über gutes und schlechtes Essen, die Anforderungen an Gastronomie und Wochenmärkte, Social Media und Bratkartoffeln aus.
#neugier
AH: Neugier ist mein Hauptreiber, auf Märkte zu gehen. Das ist für mich Erlebnis und soziale Interaktion. Wenn wir damals mit dem Schiff irgendwo angelegt haben, waren Märkte meistens die ersten Anlaufstellen, die wir besucht haben. Märkte spiegeln die Identität eines Landes deutlich wider.
Ich finde es spannend, jede Woche andere Produkte zu entdecken, da auf dem Markt die saisonalen Angebote sehr häufig wechseln. Das birgt Abwechslung und erzeugt Kreativität.
MR: So auch bei mir. Ich bin stets auf der Suche nach Inspiration. Wenn ich Märkte besuche, habe ich immer die Hoffnung, etwas Neues zu entdecken. Vor allem interessiert es mich, die Produzenten der Lebensmittel, mit denen ich koche, kennenzulernen.
#produzenten
AH: Leider sind viele Händler heute nur noch Zwischenhändler. Das erkenne ich daran, dass überall dieselben Kartons hinter den Ständen stehen. Das finde ich sehr schade. Aber es gibt auch Marktstände, dort kann man in Bergen von Ware und
Leckereien aus der Region schwelgen.
In der „Markthalle 9“ in Berlin habe ich einen Händler entdeckt, der selbst Burrata (sehr cremiger Mozzarella) zubereitet, mit einem fantastischen Balsamico-Essig dazu. Dieses einfache Essen hat mich so glücklich und satt gemacht, da habe ich direkt noch etwas für zu Hause gekauft. Das Beste daran war aber, dass der Händler mir genau erklärt hat, warum die Burrata so cremig gelingen konnte und wie er sie gemacht hat.
MR: Ich möchte immer verstehen, welche Emotionen die Leute mit den Produkten verbinden, die sie verkaufen. Ich wünsche mir, dass man wieder mehr Zugang zu den Produzenten seiner Lebensmittel bekommt. Darin sehe ich große Chancen für zukünftige Markthallen.
#gastronomie
AH: Meine Vermutung ist, dass wir in Deutschland ein Leidenschaftsdefizit in Bezug auf gute Speisen haben. In den sehr wirtschaftlich getriebenen deutschen Gastronomiebetrieben hat alles seine Struktur. Nur wenn man diese Strukturen verfolgt, erreicht man hier sein Ziel. Im besten Fall sind das dann Sternebewertungen.
Ich habe das Gefühl, dass es den Köchen häufig nicht darum geht, mit Leidenschaft für den Genuss anderer zu kochen, um deren Tag so perfekt wie möglich zu ergänzen, sondern allein um den wirtschaftlichen Erfolg.
Es fehlt auch die Eigeninitiative und Kreativität. Wenn soziale Medien wie Instagram visuell Foodtrends vorgeben, sehe ich das ziemlich schnell in irgendeinem Restaurant. Also werden Trends nur kopiert.
MR: Im gastronomischen Sinne bewerte ich die Vielfalt und Qualität im Ruhrgebiet niedriger im Vergleich zu anderen Städten und Regionen. Ich sehe einen Grund dafür auch darin, dass die Gäste das hier nicht so fordern.
AH: Das wundert mich nicht. Bei uns zu Hause wurde beim Essen auch nie über das Essen oder den Genuss gesprochen. Weil meine Eltern berufstätig waren, wurde mit maximaler Zeitersparnis gekocht. Essen ist in Deutschland eher eine Notwendigkeit. Die Leute können ja im Restaurant keine Ansprüche an Kreativität formulieren, die sie zu Hause nie kennengelernt haben.
MR: In Deutschland sind die verschiedenen Küchenstile
oft auf die breite Masse ausgerichtet. Ich fürchte, dass die
Authentizität hierunter leidet. Es ist heutzutage schwierig,
einen echten mexikanischen Taco oder ein echtes indisches Curry zu bekommen. In anderen Ländern wie Holland sind
die Communitys stärker ausgeprägt, daher ist es hier oft
leichter authentische Gerichte zu bekommen.
#bratkartoffeln
MR: Es gibt nichts Emotionaleres als gute Bratkartoffeln. Der Geruch von guten Bratkartoffeln ist für mich das Tollste.
AH: Genau. Das geht schon bei der Auswahl der Pfanne und dem Einbrennen los. Bei den Brandwunden an den Händen spürt man es deutlich. (Lacht.)
#sparen
MR: Ich koche jeden Abend und kaufe dafür frisch ein. Ein Freund von mir beschwerte sich mal, dass er zu viel Geld für Lebensmittel ausgeben muss. Er hatte sich fertige Tomatensoße im Glas für 3,50 Euro gekauft. Für den Fall, dass ich mal schnell eine Tomatensoße benötige, lege ich mir immer frische San-Marzano-Tomaten ein, daraus kann ich ganz schnell eine superleckere Soße machen, die dann nicht einmal 1,00 Euro kostet. Ich finde es wichtig, solche Aspekte frischer Lebensmittel auch zu kommunizieren. Viele Leute wissen einfach nicht, dass es auch günstiger und besser geht. Für die Markthalle könnte ich mir gut vorstellen, dass man dort Tipps bekommt, wie man sich gesund und günstig ernähren kann. Hoffentlich ergeben sich dort dann Interaktionen, beispielsweise mit der Volkshochschule. Man könnte Kochkurse, Einkaufskurse und internationale Aktionen veranstalten.
#vegan
AH: Ich ernähre mich zu fast 90 % vegetarisch oder vegan.
Für meine Kunden versuche ich im selben Verhältnis zu kochen.
Dadurch ergibt sich die Aufgabe, das Menü so zu gestalten, dass den Gästen nicht der Gedanke aufkommt, dass ihnen etwas fehlt. Gemüse glänzt dann als facettenreiche Hauptspeise. Beim Kochen nur mit Gemüse gibt es so unfassbar viele Möglichkeiten. Aha-Effekte sind stets zu beobachten. Dadruch drehen sich die Gespräche bei Tisch nicht nur um den perfekten Garpunkt des Fleisches, sondern um viele neue Facetten. Wenn ich alles richtig gemacht habe, kommt irgendwann der Moment, in dem so eine Stille herrscht. Dann redet keiner mehr, weil es einfach so gut schmeckt.
MR: Findest du nicht auch, dass Veganismus häufig als sehr strenge Doktrin gehandhabt wird?
AH: Veganismus ist für mich die zwangsläufige Gegenbewegung zur Massentierhaltung. Es wurde sehr heftig argumentiert, um diese Gegenbewegung zum Laufen zu bringen. Erst sollte alles umfänglich hinterfragt werden, heute pendeln sich beide Bewegungen in der Mitte ein. Der Verzicht auf Fleisch ist meine ganz persönliche Entscheidung, ich will niemanden dazu zwingen, auf Fleisch zu verzichten. Allerdings koche ich so, dass gar kein Verzichtsgefühl beim Genuss entsteht.
#influencen
MR: Mein Freund und ich haben unseren Instagram-Account mit Restauranttestungen gestartet, weil wir einfach sehr gerne essen gehen. Dabei haben wir immer eine große Diskrepanz zwischen den Google-Bewertungen (meistens schlecht) und Restaurantführern (meistens gut) empfunden. Wir wollten über die Restaurants einfach so erzählen, wie es gute Freunde tun. Ich freue mich total, wenn ich anderen bei ihren Entscheidungen helfen und Tipps geben kann.
AH: Mein Account mit Foodfotos verbindet meine Leidenschaft für das Kochen mit der für die Fotografie. Mein Vater hatte ein kleines Fotolabor im Keller und irgendwann bin ich auch mit der Kamera los, vor allem bei meinen Schiffsreisen.
Heute nutze ich die Kamera, um die Prozesse der Zubereitung festzuhalten, quasi wie ein Notizbuch. Das habe ich zuerst eigentlich nur für mich gemacht, aber ich freue mich auch, wenn auf Instagram Interaktionen mit Menschen entstehen, die diese Bilder berühren. Das ist eine schöne Art und Weise, vegane oder vegetarische Ernährung ohne erhobenen Zeigefinger zu kommunizieren.
„Leidenschaft für
Zutaten und deren Herkunft“
MR: Deine Fotos sind ja sehr puristisch. Was mich wirklich bei der Foodfotografie im Internet stört, sind übertriebene Hochglanzfotos. Wenn ich mal ein Rezept suche, möchte ich das richtige Essen sehen und keine dreifach gefilterten Bilder. Das finde ich nicht ehrlich.
Ein Bild von einem Teller, von dem bereits gekostet wurde, löst bei mir viele Assoziationen aus, es ist atmosphärisch und ich kann mich in den Moment hineinversetzen. Stell dir vor, eine Maultasche ist schon angeschnitten, und dann sehe ich, was da drin ist. Das klingt jetzt übertrieben, aber ich glaube, da müssen wir wieder hin. Lässige Fotos machen viel mehr Lust aufs Selberkochen als zu sehr arrangierte, gelackte Bilder. Die richtige Ästhetik ist ein Stilmittel, den Genuss an dem Gericht zu vermitteln und es den Leuten nahezubringen.
Maurice Reinhard (29)
Leiter des Start-up-Inkubators werk x in Bochum Als
Hobbykoch Drittplatzierter in der Sendung „Küchenschlacht“
beim ZDF Mitkoch im Event-Küchenteam von Björn Freitag
Restauranttester in Bochum und Hamburg
@buddelbütterken
#zukunftswünsche
MR: Ich hoffe, dass es bald auf den Märkten der Zukunft die Möglichkeit der bargeldlosen Zahlung gibt. Viele Händler sind auf diese Methode noch nicht vorbereitet. Sie verhindern so zusätzliche Einkäufe. Wenn ich inspiriert wurde, würde ich dem gern nachgehen.
AH: In Nordrhein-Westfalen gibt es durchaus Leute, die „Market Farming“ betreiben. Dabei wird von mehreren Personen ein Stück Land gepachtet und Gemüse angebaut und geerntet. Die Ware wird in Lebensmittelkisten auf Märkten angeboten. Ich würde mir wünschen, in Bochum genau diese Menschen zu finden.
MR: Ich fände es gut, wenn Städte in Deutschland auch auf Märkten so weit wären wie andere Metropolen. In den großen Markthallen wie zum Beispiel in Kopenhagen gibt es Humidore und Schränke voll mit fermentierten Produkten. Ich bin davon überzeugt, dass diese Konzepte auch hier Menschen anziehen werden.
AH: Wenn man dort wirklich das essen könnte, was aus den Produkten der Stände hergestellt oder gekocht wurde. So etwas wäre eine tolle Inspiration für die Bochumerinnen und Bochumer. Im allerbesten Fall kann man möglichst viele Direktproduzenten für die Markthalle gewinnen, die haben dann häufig richtig viel Wissen über ihre Produkte und können dies weitergeben. Und man weiß dann auch genau, woher und von wem die Lebensmittel stammen.