Ein Interview mit Markus Sporer
von CROSS Architecture, den Gewinnern des europaweiten Realisierungswettbewerbes für das Haus des Wissens.
Fotos:
CROSS Architecture (Foto: rendertaxi)
Marcel Blom (links) Ir. Architekt BNA, Inhaber Amsterdam Cornelius Wens (Mitte) Architekt, Inhaber Aachen Markus Sporer (rechts) Architekt, Inhaber Aachen
Markus Sporer: Keins von beidem. Unmittelbar hinter unserer Siedlung, in der ich aufgewachsen bin, begann der Wald mit vielen Bächen und Rinnsalen. Vielleicht habe ich deshalb am allerliebsten und ständig Staudämme gebaut. Ich fand es spannend, mit dem Wasser zu arbeiten, es anzustauen, umzuleiten und sofort den Effekt zu sehen. Man musste immer mit dem arbeiten, was gerade da war, und improvisieren. Vielleicht hätte ich also auch Ingenieur werden können.
MS: Die Gemeinsamkeit ist, dass das Orte sind, an denen sich viele Menschen gleichzeitig begegnen und die wir so geplant haben, dass man sich einfach orientieren und zurechtfinden kann. Sie müssen aber auch eine räumliche Atmosphäre erzeugen, die dazu einlädt, gern Zeit an diesen Orten zu verbringen. Im besten Fall wird der Hörsaal auch zum Treffpunkt nach der Vorlesung, kommen die Besucherinnen und Besucher nicht nur wegen der Kunst ins Museum, sondern auch wegen der Architektur, und wird der Bahnhof zu einem attraktiven Stadtraum und nicht nur zum Durchgangsort.
„Das ist das anspruchsvollste
Projekt, das ich bisher
bearbeitet habe.“
Die ehemalige Hauptpost – ein Bauwerk von 1931 – stellt eines der prägenden Bauwerke in der Bochumer Innenstadt dar. Derzeit steht sie leer und ist nicht in das städtischea Gefüge eingebunden. Sie wird nach Umbau und baulicher Erweiterung zum Haus des Wissens und zu einem Inkubator der Stadtentwicklung.
MS: Sobald ein Gebäude mehr ist als nur eine reine Hülle zur Funktionserfüllung, entsteht Architektur. Und wenn diese Architektur mit räumlichen Qualitäten, Atmosphären und Programm angereichert wird, entstehen Orte. Unsere Aufgabe als Architekten sehen wir nicht darin, nur ein Projekt zu entwerfen, das die bloße Funktion erfüllt, sondern wir wollen mit unseren Projekten Mehrwert erzeugen. Deshalb beginnen wir jedes Projekt mit einer gründlichen Analyse der Aufgabenstellung und damit, dahinterzukommen, was die Frage hinter der Frage ist. Im Ergebnis haben wir ein präzises Bild von der Aufgabe und können uns daranmachen, nach Lösungen zu suchen. Im besten Fall entstehen Räume und Orte, die Impulse setzen, und neue Prozesse anstoßen und die Menschen glücklich machen.
MS: Wenn ich das Projekt präsentiere, dann spreche ich immer von Durchlässigkeit. Durchlässigkeit im Sinne der Veränderung, Flexibilität und Adaption. Dazu gehört für mich neben der gebauten Flexibilität auch eine atmosphärische Durchlässigkeit, in der die Räume schwellenlos ineinander übergehen, die Gedanken und Ideen in der Vielfalt der Begegnung. Diese Idee soll sich auf die Besucherin und den Besucher sowie die Nutzerin und den Nutzer übertragen. Wir laden ein, zwanglos durch das Haus zu flanieren, sich vielleicht treiben zu lassen und zu schauen, was so passiert und was einen anspricht. Man entdeckt dabei neue Möglichkeiten. Gleichzeitig findet man in diesem zwanglosen Ambiente so vielfältige Angebote, dass es einen einfach umwirft und man wieder und wieder ins Haus kommt, um neue Dinge auszuprobieren, von denen man noch nicht wusste, dass sie einen interessieren
MS: Die Veränderungen, vor denen die Städte stehen, sind grundlegend und tiefgreifend – Mobilität, Klima, Handel, Demografie, Wandel der Arbeitswelt etc. Das führt zu riesigen Veränderungen. Manche Städte zehren vom alten Glanz oder den besonderen Standortqualitäten und hoffen, sich nicht zu sehr ändern zu müssen und trotzdem attraktiv zu bleiben. Andere Kommunen versuchen den Prozess aktiv zu steuern und beschreiten neue Wege. Ich finde, dass Bochum da für sich einen guten Weg geht und eine proaktive Haltung einnimmt. Ein gutes Beispiel dafür, wie durch innovative Projekte Impulse gesetzt werden können, ist auch die Stadt Groningen im niederländischen Friesland. Das Forum dort haben wir zum Start des Projekts mit den Nutzerinnen und Nutzern aus Bochum besucht. Ein cooles Projekt, das eine unglaubliche programmatische Dichte und Dynamik hat – alles zieht sich hier zusammen und ringsherum ist friesisches Nichts. Die Macher dort haben eine echte Destination geschaffen und eine tolle Dynamik entfacht.
MS: Das ist sicher eines der zentralen Themen: Wie müssen wir unsere Gebäude entwerfen und was müssen sie können, damit sie einen positiven Einfluss auf die Stadt haben und neue Impulse setzen. Aber das war ja auch schon in der Fragestellung zum Wettbewerb für das HdW angelegt – wir haben die Grenzen nur noch etwas verschoben.
Welche Herausforderungen brachte dabei die Bausubstanz von 1925 mit sich?
MS: Große. Das Bestandsgebäude ist ein imposantes Bauwerk – leider ist es in den letzten Jahrzehnten ziemlich verbaut worden. Auf den alten Fotos ist der Glanz aber noch zu sehen. Die Bausubstanz ist nicht die beste und die Statik, positiv ausgedrückt, vielfältig.
Eine der großen Herausforderungen war und ist weiterhin, dass das Gebäude zum Willy-Brandt-Platz ein Hochparterre besitzt. Das eigentliche Erdgeschoss ist da also ca. 1,70 m höher als der Eingang. Das steht erst mal in totalem Widerspruch zu unserer Idee, ein schwellenloses Haus zu entwerfen in das man von allen Seiten möglichst ebenerdig flanieren kann, und hat uns im Entwurf vor gewaltige Probleme gestellt. Aber wir finden es großartig, dass der Bestand uns einen Rahmen bietet und vor Herausforderungen stellt. Der Dialog zwischen Alt und Neu ist immer spannend und passt gut zur Programmatik.
Inwiefern ist denn nun die Architektur fluide und zeigt die Variabilität der Zukunft?
MS: Wenn man sich die Visualisierungen vom Open Space aus dem Entwurf ansieht, erkennt man sehr gut unsere Idee, alle Nutzungen und Funktionen zueinander in Beziehung zu setzen. Du kommst in den Innenraum und hast sofort den Überblick über die vielen Angebote und Themen, die es zu entdecken gibt. Du kannst dich zwischen „Fast-Lanes“ und „Scenic-Routes“ entscheiden und viele Angebote beiläufig entdecken. Wir erhoffen uns, dass so viele ungeplante Ereignisse und Begegnungen entstehen.
Welche Baumaterialien werden hinsichtlich der Nachhaltigkeit eingesetzt und welchen Beitrag leistet das HdW für die Klimaschutzziele der Stadt Bochum?
MS: Der nachhaltigste Baustoff ist natürlich der, der schon vor Ort im Bestand verbaut ist. Hier ist sehr viel CO2 gebunden. Insofern sind also der Erhalt des Bestands und die Integration in den Entwurf per se nachhaltig. Aber wir haben uns hohe Ziele gesetzt. So soll das Gebäude am Ende die Platin-Zertifizierung der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) erhalten. Die Decken im Altbau müssen wir ersetzen, da sie weder in Bezug auf die Verkehrslasten noch in Bezug auf den Brandschutz den Anforderungen genügen. Da wir aus Gewichtsgründen keine neuen Betondecken einbauen können, werden wir Hybrid-Decken aus Holz verwenden, die über der Holzplatte noch eine Betonschicht von 7 cm erhalten. So sparen wir Gewicht, erfüllen den Brandschutz und verwenden nachwachsende Rohstoffe. Die Glasfassade im Hof wird mit einer Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Holz gebaut und auch sonst setzen wir auf ehrliche, unbehandelte Materialien. Auf Zementestrich wird nichts aufgelegt, die Geländer sind verzinkter Stahl und nicht behandelt – ehrlich, direkt und am besten demontier- und recycelbar. Der größte Benefit für die Nachhaltigkeit ist aber ganz klar der Dachgarten, der die Aufheizung der Stadt senkt, Wasser zurückhält, Biodiversität steigert und zu einem großartigen Wohlfühlort mitten in der Innenstadt wird – da sind wir uns sicher.
Der neue, gefaltete Dachgarten, der sich über Stufen und Rampen vom 3. Obergeschoss bis zum Dachcafé entwickelt, wird als Regenwasserrückhaltungdach mit üppiger Begrünung ausgeführt – es entsteht eine fantastische Dachlandschaft mit vielfältigen Grünstrukturen.
„Der größte Benefit für
die Nachhaltigkeit ist aber ganz klar der Dachgarten, der die Aufheizung der Stadt senkt,Wasser zurückhält, Biodiversität steigert und zu einem großartigen Wohlfühlort mitten in der Innenstadt wird – da sind wir uns sicher.“
Welche Impulse soll das HdW hinein in die Stadt senden?
MS: Ich würde mir wünschen, dass das HdW künftig viele Impulse in die Stadt und darüber hinaus sendet. Das Haus soll ein Zielort für die Bochumerinnen und Bochumer werden. Im Prinzip wie ein gut gestalteter städtischer Platz, auf dem man sich trifft, weil man vielen Menschen begegnet, eine gute Atmosphäre vorfindet und einfach verweilt, ohne etwas konsumieren zu müssen oder sonstige Verpflichtungen zu haben – ein neues Wohnzimmer für die Stadt. Das soll sich rumsprechen, so dass künftig viele Besucherinnen und Besucher aus dem In- und Ausland nach Bochum kommen, um das HdW selber zu erleben und sich inspirieren zu lassen.
Wie schafft es die Architektur, die Bürgerinnen und Bürger durch das Haus zu führen?
MS: Wir starten immer mit einer gründlichen Analyse der Situation, die wir vorfinden. Wie ist der Kontext? Woher kommen die Besucherinnen und Besucher? Gibt es Hindernisse, wie z. B. den vorhin genannten Höhenversprung? Dann deklinieren wir viele Varianten durch: Wo sind die Zugänge? Wie ist die Einsehbarkeit? Welche Impulse können wir setzen, um die Besucherinnen und Besucher zu lenken? Und was erleben sie auf dem Weg? Unser Anspruch ist es, dass die Orientierung einfach und intuitiv sein muss – du musst dich im Gebäude auch ohne Leitsystem zurechtfinden. Als wir z. B. das Bergbaumuseum neugestaltet haben, war uns klar, dass es besonders Kinder triggern muss – schließlich ist jede nordrhein-westfälische Klasse mal im Bergbaumuseum. Deswegen haben wir die Gänge des Bergbaus erlebbar gemacht, wie in einem Hamsterbau. Die Kinder sollen einfach Spaß haben; es soll Freude bereiten, durch die orangenen Stollen zu laufen und dann mal wieder über die Stadt zu sehen. So kommt die Frage, ob ich nun die Treppe oder den Aufzug nehme, nämlich gar nicht auf. Natürlich nehme ich die Route, weil es mehr Bock macht. Diese Geschichte muss ein Haus erzählen können.
ARCHITEKT
DIPL.-ING.
MARKUS SPORER
1967 geboren in Aalen
1996 RWTH Aachen und University
of Washington, USA
1997 Architekt bei Prof. Jörg Friedrich, Hamburg
1997 bis 2001 Architekt in Hamburg
und Amsterdam
2001 Gründung des eigenen Büros
2001 Wissenschaftlicher Angestellter am Lehrstuhl für Entwerfen und
Gebäudelehre bei Prof. Klaus Kada
an der RWTH Aachen
2005 Gründung Benthem Crouwel GmbH, Aachen, Partner bei Benthem Crouwel
Seit 2007 Mitglied in diversen
Wettbewerbsjurys
2016 Gründung CROSS Architecture zusammen mit Cornelius Wens
2016 bis 2022 Mitglied im
Gestaltungsbeirat Aachen
2018 bis 2019 Gastprofessur am
Department für Entwerfen an der
MSA in Münster
MS: Dieses Projekt ist für mich persönlich das anspruchsvollste und komplizierteste Projekt, das ich bisher bearbeitet habe. Die Komplexität bildet sich auf vielen Ebenen ab. Auf der programmatischen Ebene, der technischen und konstruktiven Ebene, der Nutzungsebene und in der Vielfalt und Gleichzeitigkeit der Anforderungen. Viele Stakeholder, die in riesigen Gesprächskreisen berücksichtigt werden wollen. Auch statisch ist das Haus eine Herausforderung, im Hof ein alter Luftschutzbunker und tief unten noch ein U-Bahn-Tunnel. Wir werden beim Bauen sicher noch einige Überraschungen erleben. Das Planungsteam umfasst so um die 30 Personen und somit ist es in jeder Hinsicht groß und komplex. Es ist für mich aber auch ein Once-in-a-Lifetime-Projekt und ich freue mich einfach, dass wir so ein cooles Projekt machen können.
Aber klar, manchmal steht man auch vor technischen Problemen, aber das ist der Sport: Lösungen finden und das Projekt immer besser machen. Die Herausforderungen waren bei diesem Projekt so vielfältig wie nie zuvor, das hat sich schon im Wettbewerb gezeigt. Bei keinem anderen Projekt haben wir so viele Varianten untersucht, so viele Maßstab-1:500-Modelle gebaut. Es war eine echte Leidenszeit, bis es dann schließlich Klick gemacht hat und wir plötzlich wussten, wie wir das Ding knacken können.
MS: Diese Orte werden in ihrer Bedeutung wachsen. Nicht nur für Städte, die ohnehin um ihre Position kämpfen müssen, sondern auch für gestandene Städte, die ja mitunter auch mit Leerständen und anderen Defiziten zu tun haben. Menschen konsumieren anders, nutzen andere Angebote und brauchen die Stadt dabei weniger als Umschlagplatz im Handel. Das wirft riesige Probleme, aber auch enorme Chancen auf, weshalb wir in der Konsequenz sehen müssen, was die neuen Angebote sind, die eine Stadt ergänzen. Es müssen weitere, durchaus ähnliche, schwellenlose Orte der Begegnung geschaffen werden. Kultur, Wissen, Produktion, Sport und Freizeit können Trigger sein, um solche Orte aufzuladen und Angebote wieder mitten in die Stadt zu transportieren.. Es braucht einfach solche Anker, damit die Städte lebendig bleiben und sich nicht irgendwann inhaltlich entleeren. Da ist das Haus des Wissens ein sehr besonderer Aufschlag.
„Bei keinem anderen Projekt haben wir so viele Varianten untersucht, so viele Maßstab-1:500-Modelle gebaut. Es war eine echte Leidenszeit, bis es dann schließlich Klick gemacht hat und wir plötzlich wussten, wie wir das Ding knacken können.“